BELLETRISTIK
Dana Vowinckel: Gewässer im Ziplock (Suhrkamp Verlag)
Über das Buch
Ein Sommer voller Konflikte, der Margarita zwischen Berlin, Chicago und Jerusalem hin und her reißt. Als fünfzehnjährige Schülerin bei ihren Großeltern in den USA sehnt sie sich nach Deutschland, zu ihren Freunden und ihrem Vater Avi, der in einer Synagoge die Gebete leitet. Doch der Familienrat verkündet, dass es höchste Zeit sei, ihre Mutter in Israel wieder zu treffen, die sie seit den Kindertagen nicht mehr gesehen hat. Die gemeinsame Reise durch das Heilige Land rührt an alte und neue Wunden und führt zu tiefgreifenden Zerwürfnissen. Zurück in Chicago, mit ihren Eltern um das Krankenbett ihrer Großmutter versammelt, steht Margarita eine folgenschwere Entscheidung bevor, die ihr Leben für immer verändern könnte.
Zur Begründung der Jury
Eine jüdische Familiengeschichte von heute zwischen Chicago, Berlin und Jerusalem: Dana Vowinckel erzählt von Lust und Strapazen der Pubertät, vom Alltag und den Konflikten eines religiösen alleinerziehenden Vaters sowie einer liberalen Intellektuellen, deren Muttersein nicht in gewöhnliche Bilder passt. Emotional und zugleich klar erzählt, gewinnt der Roman seine Spannung durch die Konsequenz der Erzählperspektiven und lässt die Verschiedenheit von Weltsichten auch im intimsten Kreis zu.
Über die Autorin
Dana Vowinckel, 1996 in Berlin geboren, studierte Linguistik und Literaturwissenschaft in Berlin, Toulouse und Cambridge. Für ihre Erzählung »In my Jewish Bag« (2022) erhielt sie beim Wettbewerb »L’Chaim: Schreib zum jüdischen Leben in Deutschland!« den ersten Preis. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2021 wurde sie für einen Auszug aus »Gewässer im Ziplock« mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnet. Der Roman wurde 2023 mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet und war auf der Shortlist für den aspekte-Literaturpreis des ZDF 2023. Im selben Jahr wurde ihr auch ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats zugesprochen.
Leseprobe
»Wo ist Aba?« Margarita machte die Augen auf.
»Er ist hier. Wieso?«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Weil er sich kümmern sollte. Weil nur er es konnte. Weil sie es nicht verdient hatte, dass Marsha sich kümmerte und Aba Besseres zu tun hatte.
»Das ist bestimmt meine Strafe«, sagte Margarita.
»Dass ich mich kümmere?«
»Die Mandelentzündung.«
»Margarita, hör auf mit dem Quatsch. There is no such thing as poetic justice«, sagte Marsha, »and, my darling, that is the cruelest and the kindest thing about our lives.« Dann ging sie.
Margarita träumte weiter, sie träumte von Fliegenpilzen, die sich in ihr vermehrten, sie träumte von Honig, der ihr in die Kehle floss, der Honig schmeckte schal. Jemand in ihrem Traum sprach Kaddisch, plötzlich war das Kaddisch aus schwarzer Milch, Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts, sie griff sich ins blonde Haar, sie war Margarete, doch das Haar wurde dunkel, sie war Sulamith, und es wurde wieder Nacht, dann ein Knochen, beim Begutachten des Körpers der eigene, Margarita war ein Skelett, und in ihren skelettenen Händen hielt sie ihre Rippe, aus der sie eine Mutter formen sollte.