SACHBUCH/ESSAYISTIK

Portraitfotografie von Christina Morina
© Siedler Verlag
Cover des Buchtitels "Tausend Aufbrueche"

Christina Morina: Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er-Jahren (Siedler Verlag)

Über das Buch

Jenseits der üblichen Diskurslogik schreibt Christina Morina eine gesamtdeutsche politische Kulturgeschichte der 1980er-Jahre. Anhand zahlreicher bislang unerforschter Zeugnisse wie Bürgerschreiben, Petitionen und Flugblätter legt sie das Demokratie- und Selbstverständnis der Bürger:innen in Ost und West offen. Dabei verschränkt die Historikerin die Demokratiegeschichte der BRD und die Demokratieanspruchsgeschichte der DDR und verweist auf grundlegende Unterschiede sowie wechselseitige Zusammenhänge. Ihre scharfsinnige Analyse offenbart dabei nicht nur ein differenziertes Bild ohne Frontenbildung. Sie legt auch den Kern steigender rechtspopulärer Tendenzen unserer Gegenwart frei.

Zur Begründung der Jury

Christina Morina hat die politische Kulturgeschichte um ein wichtiges Kapitel erweitert. Ihre detaillierte Untersuchung von Bürgerbitten und Beschwerden in DDR und BRD wirft einen neuen Blick auf das Demokratieverständnis in Ost- und Westdeutschland, auf politische Vielstimmigkeit, Wünsche, enttäuschte Hoffnungen und Ressentiments. Morinas Buch legt einen demokratiehistorischen Erinnerungsschatz frei, der eine neue Perspektive in eine heute verhärtete Debatte bringt.

Über die Autorin

Christina Morina, geboren 1976 in Frankfurt (Oder), ist seit 2019 Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Gesellschafts- und Erinnerungsgeschichte des Nationalsozialismus, in der politischen Kulturgeschichte des geteilten und vereinigten Deutschlands sowie im Verhältnis von Geschichte und Gedächtnis. Christina Morina hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und herausgegeben, u. a. »Das 20. Jahrhundert erzählen. Zeiterfahrung und Zeiterforschung im geteilten Deutschland« (Wallstein, 2006), »Die Erfindung des Marxismus. Wie eine Idee die Welt eroberte« (Siedler, 2017), und »Friedrich Engels und die Sozialdemokratie. Werke und Wirkungen eines Europäers« (Metropol, 2020).

Leseprobe

Die tausend Aufbrüche im Herbst 1989 haben in der deutschen Demokratiegeschichte ein zwiespältiges Nachleben. Sie haben ein ungekanntes Maß an Hoffnung und Unsicherheit, an Beherztheit und Zweideutigkeit, an politischer Emanzipation und gesellschaftlicher Polarisation entfaltet – bis heute. Häufig wird diese widersprüchliche Bilanz auf die eine oder andere Seite reduziert: hier die Jahre vor, dort die Jahre nach dem Umbruch von 1989; hier die Diktaturgeschichte der DDR, dort die Demokratiegeschichte der Bundesrepublik; hier die schockartige »Übernahme«-Erfahrung der Ostdeutschen, dort die unverfrorene Abwicklung dieser »Übernahme« durch die Westdeutschen […]. Dieses Buch wählt einen anderen Blick, indem es erstmals den Wandel des Demokratie- und Bürgerselbstverständnisses der Deutschen in Ost und West für die Zeit sowohl vor als auch nach der Zäsur von 1989 beschreibt.